Freitag, 30. Mai 2014

her

Mehr als "Mann verliebt sich in Siri"



Die nahe Zukunft: Theodore (Joaquín Phoenix, Johnny Cash in Walk the Line) arbeitet seit einigen Jahren bei einer Internetfirma, die wunderschöne, handgeschriebene Briefe verschickt. Er verfasst diese, oft seit Jahren für die gleichen Klienten, und lebt auf diese Weise eine romantische Ader aus.

Privat lebt er seit einem Jahr von seiner Frau getrennt, es müssen nur noch die Scheidungspapiere unterschrieben werden, aber davor muss Theodore erstmal über die Trennung an sich hinwegkommen. Dabei hilft ihm sein neues Betriebssystem, kurz OS, das er sich aus einer Laune heraus gekauft hat. Der Clou an diesem OS ist, es enthält eine lernfähige, künstliche Intelligenz.

Sehr schnell wird das OS, welches sich selbst spontan den Namen Samantha (Luise Helm als Scarlett Johannssons Stimme) gegeben hat, mehr als eine weitere Möglichkeit, seinen Computer zu bedienen. Vielmehr entwickelt sich Sam zu einem Gesprächspartner, der Theodore aus seiner Melancholie befreit, die mit ihm zusammen die Welt wiederentdeckt, und schließlich – obwohl sie nur eine eine Stimme ist – zu seiner Freundin.

Doch als kommerzielles Produkt ist Sam nicht allein, ihre Grundstruktur, aus der sie sich selbst geschaffen hat, wurde tausende Male verkauft und so gibt es auch tausende andere OS, die sich mit Menschen und anderen OS anfreunden. Theodore's Welt bekommt wieder Risse…



Ich bin mit gewissen Erwartungen in her gegangen; eine romantische Komödie, mit mehr Feingefühl als Jungfrau (40), männlich, sucht…, aber meine Erwartungen wurden doch überraschend übertroffen. Es ist eher ein Melodrama mit einer starken romantischen Note, finde ich, als eine romantische Komödie. Theodore ist seit dem Scheitern seiner Ehe wirklich am Boden zerstört, seine Ehefrau, die er schon seit seiner Schulzeit kannte, scheint zwar Verständnis zu haben, aber auch Schuld. Man kann Theodores Bedürfnis nach emotionaler Nähe nachvollziehen.

Unterstützt wird diese emotionale Handlung durch die unfassbar gute Synchronisation, allen voran Luise Helm. Ich kann gar nicht genug hervorheben, wie gut sie die emotionalen Nuancen von Sam allein mittels ihrer Stimme überträgt. Ich habe meine Zweifel, ob das die Scarlett Johannsson  im Original besser hingekriegt hat.
Natürlich muss ich erwähnen, dass Deutschland eine ohnehin hervorragende Synchronisationsindustrie hat und üblicherweise der Tiefgang und die Handfertigkeit von Synchronsprechern durch die anderen Geräusche der Handlung übertönt werden. Es besteht also die Möglichkeit, dass die Synchro von her nur so gut wirkt, weil die Deuteragonistin nur als Stimme vorkommt und somit der Wahrnehmungsfokus ein anderer ist.

Jonze scheut sich auch nicht davor, die Probleme einer Beziehung mit einer (nominell) nicht lebenden, nicht menschlichen Person anzupacken – wie würde die Gesellschaft damit umgehen? Es gibt heute schon Menschen, die Tiere oder Gegenstände ehelichen, sei es nun aus Fetisch oder in nicht-sexuellen Liebesformen. Doch wie werden die "normalen" Leute damit umgehen, wenn der Partner ihres besten Freundes kein Gesicht hat, oder keinen Körper? Man könnte relativ problemlos Parallelen zu Sklavenehen ziehen, aber Jonze tut das nicht. 

Interessanterweise ist nach Transcendence her wieder ein Film, der die Singularität anschneidet. Nicht so offensichtlich wie Pfisters Film, aber das Konzept einer sich stetig verbessernden Intelligenz wird behandelt, und auch die Probleme einer solchen mit der Menschheit umzugehen.



Besser als erwartet.

Titel: her (dt.: Sie/Ihr (Einzahl))

Regie: Spike Jonze

Länge: 126 Minuten

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