Mittwoch, 18. Juni 2014

Welcome to Night Vale

Der Mond als Pupille eines übergroßen, stilisierten Auges; in Silhouette ein Wasserturm, Überlandleitung, Radioantenne und Pyramide. ©Rob Wilson, RobWilsonWork.com
In einer Wüstenstadt sind alle Verschwörungen wahr, und das ist normal.

In den deutschen Landen nicht so üblich, aber in den USA sehr verbreitet sind die sogenannten Community Radios, kleine, freie und vor allem regionale Radiosender. Neben oder statt der üblichen nationalen und internationalen Nachrichten senden diese Sender eher lokale Belange. Es gibt Berichte über Bauprojekte, anstehende Wahlen und anderweitige Neuigkeiten in einem Umkreis von ein paar dutzend Meilen.

Ein stilisierter hydra-ähnlicher Drache mit 5 Köpfen an 5 langen Hälsen
©Rob Wilson, RobWilsonWork.com

Welcome to Night Vale ist ein Podcast, der sich als genau solch eine regionale Radiosendung ausgibt, eine bei dem Night Vale Community Radio, deren Moderator Cecil Palmer die Bewohner des beschaulichen Wüstenstädtchens Night Vale über die verschiedenen Vorkommnisse und Belange eben jener Stadt informiert. Da wäre zum Beispiel der Hundeplatz, der von mehreren Meter hohen Betonmauern umzäunt ist, nicht betreten werden darf und aus dem seltsame Geräusche kommen. Aber keine Sorge, die Geheimpolizei des Sheriffs kümmert sich darum.


Die erste Folge beginnt damit, dass der Wissenschaftler Carlos, wunderschöner Carlos, nach Night Vale zieht und spontan feststellt, dass alle Uhren falsch gehen. Im Sinne von, elementar falsch, nicht bloß ein Stück vor oder nach. Die Uhren ticken nach ihrer eigenen Zeit, obgleich sie bei näherer Untersuchung kein Uhrwerk haben. Sie ticken einfach, ohne Antrieb und Einschränkung, alle gleichermaßen falsch.

In der gleichen Schiene geht es weiter. Ob es nun John Peters' – ihr wisst schon, der Farmer? – und sein geförderter (!) Anbau imaginärer Agrarprodukte geht, oder das Leselager über die Sommerferien, für das spontan alle Kinder entführt wurden. Die unsichtbare Frau, die heimlich in den Zwischenwänden haust, oder Khoshekh, die einen Meter über dem Boden schwebende Katze auf dem  Herren-WC – all das ist normal, und wird im Verlauf der Radiosendung auch als vollkommen normal behandelt.

Gerade darin liegt auch der Reiz der Berichterstattung. Quasi alles ist normal. Selbst die Katastrophen sind normal, und oft genug geplant oder im Kalender vorgemerkt. Dann gibt es wieder die Aberkennung von bestimmten Dingen, wie zum Beispiel Berge, die nicht existieren und offensichtlich einer Verschwörung entsprungen sind.

Der Wetterbericht ist übrigens stets ein Lied von diversen Bands, meist ruhig und melodisch, in die Richtung Easy Listening.

Nach knapp zwei Jahren und etwa 50 Folgen hört diese Kombination aus Theater und Hörspiel nicht auf, witzig zu sein.



Silhouette einer alten Frau mit Stock, wie sie aus einem Fenster mit Gardine schaut.
©Rob Wilson, RobWilsonWork.com
Titel: Welcome to Night Vale (dt. "Willkommen in Night Vale")

Autoren: Joseph Fink, Jeffrey Cranor

Sprecher: Cecil Baldwin und andere

Länge: 50 Folgen zu je 20-30 Minuten

Status: laufend, halbmonatlich

Sprache: Englisch, akustisch gut verständlich



Da Night Vale als Ort schon sehr seltsam ist, hat sich unter Fans des Podcasts ein gewisser Meme oder Injoke eingebürgert: Wenn etwas abstruses passiert, sei es nun in der Realität oder einer fiktiven Welt, das aber relativ normal aufgenommen wird, kommt der Kommentar "Und nun: das Wetter" ("And now: the weather."), in Anlehnung an Welcome to Night Vale.

Ich persönlich vertrete ja die Hypothese, dass es in den USA in dieser speziellen Instanz keine Ausreißer und Vermissten gibt, nicht wirklich, sondern dass dieses Personen schnell gefunden und kreativ nach Night Vale umgesiedelt werden. Dort werden sie nicht unbedingt geopfert, aber doch schon irgendwie.

Eine treffende Beschreibung für Welcome to Night Vale ist auch noch: Neil Gaiman und Stephen King haben zusammen Sims gespielt und sich irgendwann anderen Projekten zugewendet. Night Vale ist das Ergebnis, und Welcome to Night Vale der Versuch der Sims, ihre Welt zu erklären.

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