Freitag, 8. Juni 2012

Limit

Nachdem die Menschheit, ungeeint wie eh und jeh, endlich Bergbau auf dem Mond betreibt, kommt es zur Krise.

Ich beschreibe mal kurz die Zukunft, in der Frank Schätzings Limit spielt.

Es ist geschafft – der Weltraum scheint erstmals greifbar. Ein Idealist und Träumer, der zugleich Charisma und Unternehmergeist in sich vereinigte, hat geschafft, wofür er jahrelang belächelt wurde. Einen Weltraumaufzug. Der Name umschreibt das Konzept sehr treffend, denn es ist wirklich ein Kabel bis in den Weltraum, an welchem Aufzüge hoch- und runterfahren.

Doch damit nicht genug, denn der gleiche Mann hat zudem einen Bedarf für ein derartiges epochales Bauwerk geliefert, wiederum durch technologische Errungenschaften – Fusionsreaktoren. Während zu unserer Zeit der europäische ITER-Versuchsreaktor vor allem Energie frisst, liefern diese neuen Reaktoren Energie, und ihre Treibstoff ist Helium-3. Dieses findet man in geringen, aber förderbaren Mengen auf dem Mond. Mit konventioneller Raketentechnik eine Mondstation mit Helium-3-Förderung zu errichten, könnte ganze Kontinente ruinieren und würde noch nicht Mal den Bedarf decken, und der Grund dafür liegt in den immensen Energiemengen, die man für eine Reise zum Mond benötigt. Ein Aufzug macht das ganze sehr viel kostengünstiger, denn anstatt Treibstoff und Tanks und Raketenmotoren und allerhand anderen Kram mitzuschleppen, setzt man sich einfach in einen Aufzugwagen und fährt an dem Seil hoch.

Doch wer ist dieser charismatische Mensch? Julian Orley, Energiebündel, Visionär und Fantast, denn er hat all das und noch mehr geschaffen. Wir schreiben das Jahr 2025, die Fusion fängt an, ihre Versprechen der kostengünstigen Energieversorgung zu halten und das Brennmaterial wird durch den Weltraumaufzug sogar erschwinglich, womit verhältnismäßig schlagartig viele Energieprobleme der Welt durch diese günstige und saubere Alternative der Vergangenheit anzugehören scheinen.

Doch so ein epochaler Wechsel wird von der erdölbeherrschten Wirtschaft nur schwer verkraftet, denn durch die billige Energie und die Entwicklung günstiger Elektroautos und Solarzellen sinkt der Ölbedarf, was den Preis fallen lässt und bei hohen Barrelpreisen einträgliche Vorkommen ruckartig unrentabel macht. So ist das Werben der sterbenden Ölriesen um Orley nicht verwunderlich, sie wollen mit ins lukrative Boot.

Doch Julian lässt sich bei seiner Suche nicht beschränken und lädt 14 illustre und finanzschwere Personen ein, mit ihm das von seiner Tochter Lynn geplante und gebaute Mondhotel Gaia einzuweihen. Er möchte ihnen dabei einen Ausblick auf die Zukunft der Menschheit geben, denn trotz all seinen Erfolgs ist Julian Orley ein Philantrop, und so sind unter seinen Gästen Wasserwirtschaftler, Landwirtschaftsriesen, Ölmultis, Solarkräftige, Mediengiganten.

Parallel dazu ist Owen Jericho ein Privatdetektiv, seit Jahren in Shanghai tätig und lebend, und soll für einen Freund die Tochter eines Freundes ausfindig machen, die unvermittelt verschwunden ist. Als Digitalexperte nimmt er die Fährte der nebulösen Yoyo auf, macht Hinweise ausfindig und plötzlich stirbt eine seiner Spuren, der Mitbewohner Yoyos, bei einem waghalsigen und wahrscheinlich unfreiwilligen Manöver. Offensichtlich steckt mehr hinter der jungen Chinesin, als Owen zu Anfang vermutet hatte…

Wie schon beim Schwarm webt Schätzing ein komplexes Netz aus Charakteren und Handlung, gibt sich Mühe diesen Leben einzuhauchen, aber irgendwie will es ihm nicht so recht gelingen. Mag sein, dass es an meiner Abneigung zu solchen Themen liegt, aber einige Charaktere haben mit inneren Dämonen zu kämpfen, und irgendwie langweilen mich solche Kämpfe. So ist Lynn einem Zusammenbruch verdächtig nahe, und es ist glaubwürdig dargestellt, wie sich der Druck für einen solchen aus Umständen, Erwartungen und Charakteristika ergibt, aber das seitenlange Darstellen und suhlen in den emotionalen Exkrementen jahrelangen seelischen Raubbaus ist einfach nicht mein Ding.

So hat Limit während der ersten zwei Drittel unausweichlich Längen, in denen Schätzing sich den Dämonen seiner Charaktere oder teilweise irrelevanten Umgebungsbeschreibungen hingibt. Letztere sind besonders störend, denn mir drängt sich ungewollt der Gedanke auf, dass er etwas zeigen wollte. Dass er recherchiert und begründet hat, was er da alles geschrieben hat.

Das ist schade, denn das letzte Drittel zeigt Schätzings Vermögen, den Leser am Ball zu halten und den Spannungsbogen zu spannen. Immer wieder eine neue Wendung, immer wieder ein neues Hindernis, und stets doch bemessen genug, um den Bogen nicht zu überspannen.

Witzig empfand ich die kleinen Verneigungen gegenüber klassischer Science-Fiction. Beispielsweise sind die Mondfähren, da sie niemals eine Atmosphäre durchdringen müssen, pragmatisch designt und frei von aerodynamischen Erwägungen. Ästhetisch einigermaßen unansprechend, weil eine Hülle, abgesehen vom Schutz vor Mikrometeoriten und Sonnenprotuberanzen, einigermaßen überflüssig ist. Und doch erwägt Julian, von einem seiner Gäste darauf angesprochen, ob eine aerodynamische Hülle Sinn jenseits der technischen Aspekte machen könnte, gefrei dem Motto: Wenn man schon in einem Raumschiff fliegt, kann es doch auch nach Raumschiff aussehen.

Mehr noch als beim Schwarm bildet die Technologie nur einen Hintergrund der Geschichte und geht mehr um die Verwicklungen und den Fingerzeig, den Schätzing auf Möglichkeiten und Gefahren legen will. So kann ich nur sagen, dass mir der Roman von dem Szenario her – Aufbruch der Menschheit in den Weltraum – gefallen hat, da habe ich einfach eine Schwäche für, aber vom Inhalt trotzdem solide war, auch wenn der Roman ruhig ein-, zweihundert Seiten weniger hätte vertragen können.

Titel: Limit

Autor: Frank Schätzing

Länge: 1304 Seiten

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