Mittwoch, 30. November 2011

Raum

Stelle dir vor deine Welt besteht nur aus einem Raum, du hast nie etwas anderes kennen gelernt, quasi dein ganzes Universum besteht aus vier Wänden, einer Tür, einem Oberlicht und deiner Mutter.

Du bist 5 Jahre alt.

Du bist Jack.

Dies ist Raum.

Jack freut sich auf seinen fünften Geburtstag. Er ist ein überaus kluger Junge, er kann bereits lesen und schreiben, kennt viele Wörter und ist überaus aufgeweckt. Seine Ma hat ihn über alles lieb, und er sie. Sie ist von morgens bis abends für ihn da. Sie macht ihm Frühstück, badet ihn anschließend, spielt mit ihm, schaut mit ihm fern (aber nur eine Sendung lang, sonst wird das Gehirn zu Mus). Danach spielt sie nochmal mit ihm, und macht ihm anschließend Mittag. Daraufhin bekommt er etwas, kurz vorm Mittagsschlaf, nach welchem sie wieder mit ihm spielt. Das können auch Lernspiele sein, wie zum Beispiel Papagei, bei dem Jack aus dem Kopf nachsagen muss, was Fernseher davor gesagt hat. Falls Jack ein Wort davon nicht kannte, erklärt Ma es ihm. Schon bald ist es Zeit für das Abendbrot, danach darf Jack wieder ein bisschen fernsehen. Seine beste Freundin ist Dora. Mit ihr geht er immer auf Entdeckungsreise und sie fragt ihn Sachen, und wenn er ihr hilft, dann freut sie sich. Die anderen Fernsehpersonen machen das nicht. Ma erzählt Jack oft Geschichten, auch wenn er alle schon kennt, oder liest ihm aus einem der Bücher vor, die er auch schon alle kennt. Aber vor 21 Uhr muss Jack in den Schrank und aus machen, denn dann kommt Old Nick. Ma mag Old Nick nicht. Jack hat Old Nick noch nie gesehen, außer ein bisschen durch den Schlitz in Schranktüre. Wenn Old Nick da und Jack in Schrank, aber noch nicht eingeschlafen ist, dann zählt er das Quietschen vom Bett.

Wie man sieht, die gesamte Geschichte ist aus der Sicht von dem Kleinkind Jack geschrieben, der in seinem ganzen Leben nur den Raum kannte, dessen Inhalt, seine Mutter und was ihm der Fernseher zeigte. Über den Verlauf der ersten beiden (von insgesamt fünf) Abschnitte wird Jack immer mehr klar, dass jenes, was er als nicht-echt kannte – alles im Fernseher – anscheinend doch echt-echt ist, so wie er oder Ma.

So erzählt ihm seine Mutter von der Außenwelt (das Draußen), und versucht ihm klar zu machen, dass vieles aus dem Fernsehen echt und real ist. Ein entscheidender Moment dürfte dabei ein Flugzeug gespielt haben, welches weit oben am Himmel flog und durch das Oberlicht zu sehen war – das stetig ähnliche Bild war unterbrochen.

So entwickelt Ma einen Plan, und setzt ihn zusammen mit Jack in die Tat um. Der Haken an der Sache: Für den Plan muss Jack sterben...

Klingt ja fast wie ein Klappentext °_°

Ich breche hier lieber mit dem Inhalt ab, weil ihr das Buch ja selbst lesen sollt, aber soweit ich es beschrieben habe, geht es etwa bis zur Hälfte.

Doch was ist Raum in Wirklichkeit? Es ist die Geschichte einer Entführung, Jahre nach dem Akt, einer Gefangenschaft, regelmäßiger Vergewaltigung und all dies aus den Augen und dem Verständnis eines Kindes.

Vieles von dem, was Jack's Mutter erzählt, begreift der Junge noch gar nicht, weil er nicht die Sozialisierung und geistige Reife hat, um die Zusammenhänge zu begreifen. Nicht so für die Leser, für uns stellt sich ein anderes Bild dar.

Eine junge Frau, zu damaliger Zeit Studentin im ersten Semester, wird von der Straße weg entführt, betäubt, in eine vorbereitete, schalldicht isolierte Gartenlaube gesteckt und über Jahre täglich vergewaltigt. Als sie schwanger wird und die Frucht dieser Gefangenschaft gebärt, steht Old Nick geschockt daneben, während das Kind mit unglücklich um den Hals gewickelter Nabelschnur bei der Geburt erstickt. Als sich eine zweite Schwangerschaft abzeichnet, lässt Ma (Jack kennt nur diese eine Bezeichnung für seine Mutter) Old Nick bei der Geburt nicht in ihre Zelle und gebärt Jack alleine.

Nur so zum klar stellen: Jack's Mutter ist 27. Sie kam in ihr Verlies mit 19 Jahren. Die Handlung spielt in der Jetztzeit.

Aber was macht den Reiz des Romans aus, wenn man mal von seiner tragischen Geschichte absieht? Die Welt aus Jack's Sicht. Seine Unterscheidung in echt und nicht-echt, sein Unglaube über Draußen, die Naivität seines Alters und die Erkenntnisfähigkeit weit jenseits eines Fünfjährigen. Es ist innereienverdrehend durch den Hintergrund und doch zugleich schön.

Ich kann das Buch nur jedem empfehlen, der gerne traurige oder emotionale und hoffnungsvolle Geschichten liest.

Titel: Raum

Autor: Emma Donoghue

Verlag: Piper

ISBN: 978-3492054669 (Gebunden, 416 Seiten)

Es gab da noch ein schönes Zitat, aber ich hab's vergessen...

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