Montag, 3. Februar 2020

Red Moon / Roter Mond

Ein Astronaut steht auf schwarzem Boden vor einem staubwolkigen Hintergrund
Die Erde und China im Umbruch, mit dem Mond als gut beleuchtetem Nebenschauplatz

Knapp 30 Jahre nach der Gegenwart, im Jahr 2048, befinden sich die Erde, der Mond, die USA und China im Umbruch. Die Kapitalüberschüsse, die China über das letzte Jahrhundert angehäuft hat, fließen in riesige Infrastrukturprojekte auf der Erde, im Weltraum und auf den Mond. Der Weltraumvertrag ist effektiv überholt. Auf dem Erdtrabanten wird von den USA und China geologische, selenologische und bergbauliche Forschung im industriellen Maßstab betrieben, ähnlich wie Japan Walforschung betreibt. Regelmäßig fliegen Raketen zum Mond und wieder zurück, der Südpol ist größtenteils unter chinesischer Kontrolle und der Nordpol international, natürlich unter der Führung der USA. Es gibt keine G8 oder G7 mehr, nur noch die G2.

Fred Frederikson kam zum Mond, um ein abhörungssicheres Telefon für den Leiter der chinesischen Basis zu installieren und lernt auf dem Hinweg Ta Shu, ehemaliger Poet und beliebte chinesische Netzpersönlichkeit, kennen. Als der Leiter und Fred beide vergiftet zusammenbrechen, hilft Ta Shu Fred dabei vom Mond zu fliehen, zusammen mit der schwangeren Prinzlingin Chang Qi. Auf der Erde trennen sich die Wege von Ta Shu und Fred sehr schnell, während Qi zusammen mit Fred untertaucht.

Mehr will ich gar nicht zur Handlung sagen, denn die Handlung an und für sich ist nicht so lang, aber für Stänge jenseits der Handlung wurde viel Stoff verwendet. So ist beispielsweise Fred relativ offensichtlich neuroatypisch, obgleich seine genaue Diagnose nicht benannt wird. Mir als Laien kommt es wie Asperger vor, aber wie gesagt, ich verstehe davon nichts. Es ist bloß klar, dass Fred zwischen die Linien der verschiedenen ränkeschmiedenden chinesischen Institutionen geraten ist.

Genau schnell wird klar, dass Qi zwar eine Prinzlingin ist, d.h. ihre Eltern sind in der Partei sehr weit oben und mächtig, aber auch dass sie nicht mit der Politik der Partei übereinstimmt. Sie wurde zu ihrem Schutz zum Mond geschickt, wo sie augenscheinlich wenig politischen Schaden anrichten konnte, bevor sie aufgrund ihrer Schwangerschaft zurück zur Erde musste. Willensstark und wütend ist sie beteiligt an den derzeitigen Unruhen in China, und unter Verdacht bzw. Vorwurf einer ihrer Rädelsführer zu sein.

Und zu guter Letzt Ta Shu. War er früher Professor für Poesie und selber Poet, so hat er seine dichterische Ader vor einigen Jahren aufgegeben und stattdessen Berühmtheit für seine Kolumnen und Reisetagebücher erlangt. Er bereist die Welt und gibt seine Eindrücke für chinesisches Publikum durch seine belesene, chinesische Linse wieder. Wie so viele Chinesen liebt er sein Land, aber das heißt nicht, dass er seine Augen vor dessen Problemen verschließen kann. Eine halbe Milliarde Menschen lebt und arbeitet in prekären Verhältnissen, weil veraltete Verwaltungssysteme sie dazu zwingen. Das chinesische Internet ist durch die Große Firewall vom Rest getrennt und bekommt bloß gefilterte Informationen. Pressefreiheit existiert bloß im Einklang mit dem Willen der Partei, und die Partei ist schließlich das Volk.

In den USA ist während der letzten Jahrzehnte die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeklafft und der Anteil der Prekären immer weiter gewachsen. Es formt sich eine „Bewohnervereinigung“, die eine Verstaatlichung von Kapital und Banken fordert, und zugleich findet ein Bankensturm statt, bei dem weite Teile der Bevölkerung ihr Geld von Banken abheben oder in Kryptowährungen transferieren.

Wie man sieht, ist das Ganze alles nicht leicht. Weite Teile des Romans folgen Fred und Qi auf ihrer Flucht, so dass sich mir ein bisschen der Eindruck eines Road Movies aufdrängte, bis darauf, dass dass es das nicht wirklich ist. Fred und Qi lernen sich kennen, und der Leser sie, aber genauso wird das Aufeinandertreffen der Kulturen, insbesondere bei Fred, sehr klar. Er hat schon so Probleme mit Menschen und Kommunikation, wenn da noch die zusätzliche Hürde einer anderen Kultur und ihrer kulturellen Geschichte hinzukommt, dann ist es wirklich schwer für ihn, Konzepte deckungsgleich mit seinen Vorstellungen zu bekommen. Am ehesten kann man es sich vielleicht so vorstellen, dass Qi Niederländisch und Fred Hochdeutsch spricht – bloß weil die Sprachen nahe verwandt sind und man einander beinahe verstehen kann, heißt das noch lange nicht, dass man es wirklich kann.

In dem Sinne ist Red Moon bzw. Roter Mond ein guter Einblick in die chinesische Psyche und Kultur. Es ist kein Rosettastein, aber zumindest ein Ansatz, an dem man sich anfangen kann entlang zu hangeln.

Skurril ist außerdem, dass der Roman offenbar nach den Regenschirmprotesten in Hongkong 2014 geschrieben wurde, aber vor den derzeitigen von 2019/20, denn innerhalb des Buches ist Hongkong gerade in den Nachwehen der bei der Übergabe 1997 abgeschlossenen chinesischen-britischen gemeinsamen Erklärung zu Hongkong. Genauso spielt der Roman explizit nicht im gleichen Setting wie KSR’s Mars-Trilogie.

Was ich dem Roman nicht so recht verzeihen kann, ist sein Ende, dass wirklich offen klafft. Allerdings würde es mich auch nicht wundern, wenn KSR keinen zweiten Teil schreibt, das traue ich ihm zu. Alternativ würde der potentielle zweite Teil nicht den Faden wieder aufnehmen, sondern zu anderen Orten und Personen wechseln.

Ich habe den Roman auf Englisch gelesen (diesmal nicht als Hörbuch), und anschließend in der deutschen Übersetzung geblättert, und ich muss sagen, so richtig überzeugt hat die mich nicht. Teilweise wurden Absätze umhergeschoben und ganze Sätze, die für das Verständnis durch relevant waren, komplett gestrichen. Da ich nie Übersetzer war, oder nie in der Position dafür bezahlt zu werden, kann ich keine Einblicke oder Erklärungen dafür geben, aber die Entscheidungslogik würde mich schon sehr interessieren. Ich meine damit nicht, dass eine Übersetzung länger ist als das Original; beim Lesen von englischsprachigen Büchern merke ich gelegentlich auf und frage mich, wie ich diesen oder jenen Satz übersetzen würde, und oftmals ist es einfach so, dass ein zackiger Ausdruck im Englischen keine einfache Übersetzung hat und daher umschrieben werden muss. Dennoch erklärt das nicht das Streichen von Sätzen und Absätzen, oder zumindest nicht in einem für mich zufriedenstellenden Maße.


Nahaufnahme eines Astronauten, im Visier reflektiert die rote, chinesischen Flagge
Ich habe gemischte Gefühle :/

Titel: Red Moon (bzw. Roter Mond)

Autor: Kim Stanley Robinson (Übersetzer: Jakob Schmidt)

Sprache: Englisch (Orbit), Deutsch (Heyne)

Länge: 480 Seiten / 143k Wörter, 624 Seiten / 152k Wörter

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