Donnerstag, 2. Januar 2020

Girls’ Last Tour

Chi und Yuu auf ihrem Krad. Chi schaut in die Kamera, während Yuu vor sich hin träumt.
Mit der besten Freundin dem Ende entgegen

Girls’ Last Tour ist mir letztens in die Empfehlungen reingerutscht und ich muss sagen: das war gut so. Der Anime hat mir sehr gefallen.

Eine Stadt mit Wohnblöcken erstreckt sich bis zum Horizont; am rechten Rand ragen massive Säulen auf, die eine Ebene über der Stadt tragen, auf der wiederum Wohnblöcke und Gebäude sind. Die setzt sich zwei weitere Ebenen, bis zum oberen Ende des Bildes.
Die entvölkerte, mehrebenige Stadt
Der Hintergrund ist fix erzählt. Chi und Yuu sind zwei Mädels, die durch eine menschenverlassene, postapokalyptische Stadt fahren, immer auf der Suche nach Proviant, Wasser und Treibstoff für ihr Kettenkrad. Dabei erleben sie nicht wirklich Abenteuer, sondern genießen die kleinen Glücksmomente, die sich ihnen auf ihrer Suche anbieten.

Weder für die Beiden noch für den Zuschauer ist es wichtig, was genau diese Stadt entvölkert hat, denn dies ist nicht der Sinn des Anime. Es gibt zwar Hinweise, wie zum Beispiel das Datum und die Bilder im Fotoapparat, aber diese sind nicht der Fokus und auch nicht das Ziel von den Beiden. Statt sich mit einem klassischen Handlungsbogen zu beschäftigen, schaut man Chi und Yuu zu, wie sie ihr Krad durch ein zerfallene, kilometerlange Gebäude steuern und sich ganz nebenbei über dieses und jenes und ihre Umgebung unterhalten. Der Zuschauer (bzw. Leser) folgt den beiden, wie sie sich Stück für Stück ihrem Ziel, die Spitze der Stadt zu erreichen, nähern. Dabei stolpern oder irren sie nicht voller Verzweiflung durch die Stadt, wie man es vielleicht von den (vermutlich) letzten Überlebenden eines Dorfes erwarten würde, sondern suchen scheinbar bloß nebenbei nach Lebensmitteln. Sie scheinen zu wissen, dass sie am Ende ihres Weges nicht wirklich Rettung erwartet und haben sich bereits oder versuchen sich damit abzufinden. Solange Chi und Yuu einander haben, können sie ihr Los ertragen.

Ich glaube, um dieses Werk richtig zu verstehen, sollte ich wohl kurz mal „Mono no Aware“ anschneiden. Dieses japanische Konzept lässt sich als „Der Pathos der Dinge,“ oder auch „Das Herzzerreißende der Dinge“ übersetzen und meint im wesentlichen, dass man sich ob der Vergänglichkeit und Endlichkeit von etwas abfinden muss. Man kann traurig sein, aber es zugleich akzeptieren. Wie sehr man das Licht einer Kerze auch liebt, irgendwann wird sie heruntergebrannt sein. Man mag traurig über dieses Ende sein und mit der Kerze Mitgefühl haben, aber man akzeptiert die Unabwendbarkeit.

Chi und Yuu stehen vor einem Panzer, aus dessen Lauf springbrunnenartig ein klarer Wasserstrahl sprüht; der Zufluss ist ein offenes Rohr oberhalb der Einstiegslucke, aus der Wasser direkt in den Panzer fließt.
Verlassenes Kriegsgerät + Wasser = Springbrunnen
Und genau in diesem Gefühl ist Girls’ Last Tour zuhause. Yuu und Chi wandern durch eine Welt, bei der jeder ihrer Schritte auf Menschenwerk fällt; sie sind umgeben von Lagerhallen und Kriegsgerät, deren Funktionen und Funktionsweisen sich ihnen nicht erschließen, und ihr Interesse daran ist auch beschränkt. Die Serie ist sehr Slice-of-Life, aber halt in einer Welt in welcher die Welt bereits größtenteils untergegangen ist und nur noch ihre Nachwehen durchlebt, bevor sie endgültig den Geist aufgibt.

Dabei sind die beiden Hauptcharaktere gute Gegenspieler. Die schwarzhaarige Chi ist pflichtbewusst und belesen und steuert das Krad, während die blonde und sorglose Yuu auf dessen Ladefläche liegt und sich auf die nächste Mahlzeit freut. Die beiden kümmern sich umeinander, nicht nur weil sie es müssen, sondern auch weil sie es wollen. Sie haben zwar ein diffuses Ziel, die oberste Ebene der Stadt zu erreichen, aber sie haben dieses eher, weil es ein brauchbares denn nützliches Ziel ist. Sie überleben um des Überlebens Willen auf dieser ihrer letzten Tour durch eine längst entvölkerte Welt.

Der Anime basiert übrigens auf der gleichnamigen 6-bändigen Mangareihe von Tsukumizu und setzt gut 2/3 der Vorlage um.

Ich habe das Gefühl, ich kann irgendwie nicht so richtig ausdrücken, was genau mich an der Serie so fasziniert. Ist es die Melancholie? Das postapokalyptische Setting? Das niedliche Charakterdesign? Der schöne Soundtrack? Ich kann es nicht festmachen, ich weiß bloß, dass mir die Serie sehr gut gefällt.
Es schadet auf jeden Fall nicht, dass sie mich in dieser melancholischen Grundstimmung an Hitoshi Ashinanos Yokohama Kaidashi Kikō / Yokohama Shopping Trip erinnert, das zwar auch irgendwie in einer dem Weltuntergang nahen Welt spielt, aber doch auch ganz anders ist.



Eine sehr schöne, melancholische Serie.

Titel: Girls’ Last Tour

Regie: Takaharu Ozaki

Länge: 12 Folgen à 24 Minuten (auf Netflix)

Sprache: Japanisch mit deutschen Untertiteln, Deutsch

PS: Das mit den militärischen Uniformen hat eine bestenfalls nebensächliche Bedeutung.

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