Samstag, 23. November 2019

Normal

Grauer Hintergrund, der weiße Titel ist auf zwei Zeilen getrennt, „NOR” und „MAL“. Die Buchstaben sind zerbrochen als würden sie Glas bestehen und gerade auf Betonboden in 1000 Teile zerbersten.
Wenn die Zukunft die Gegenwart einholt.

Normal ist ehrlich gesagt ein seltsames Buch. Es erzählt die Geschichte von der instutionellen Einlieferung von Adam, einem Zukunftsforscher, der zu lange in die Zukunft geblickt hat und erschrak vor dem, was er dort sah. Innerhalb des Werkes wird dies „Abgrundblick” genannt, nach Nietzsches Jenseits von Gut und Böse:
„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“
Die Ungeheuer sind in diesem Fall die sich anbahnende Zukunft. Adam hat eine vorhergesehen und ist, als er diese Vision jenseits des Abgrundes in der Gegenwart erkannte, an dieser Realisation zerbrochen.

Da sein Berufsstand als Zukunftsforscher bzw. Zukunftsanalyst für viele Machtfaktoren wichtig ist, wird er nicht in eine allgemeine Anstalt zum Auskurieren gesteckt, sondern in ein speziell auf Zukunftsforscher und -analysten ausgerichtetes Institut, das besagte Normal (in dem Ort Normalhead im pazifischen Nordwesten der USA).

In Normal trifft er ein paar Personen, die wirklich die Bezeichnung ,Charaktere‘ verdienen: eine hat eine Form der Persönlichkeitsstörung, bei der ihre Darmflora eine eigene Persönlichkeit ist, ein anderer glaubt hunderte Jahre alt zu sein, eine dritte hat – möglicherweise, vermutlich? – kannibalistische Tendenzen, und so weiter. Innerhalb des Instituts gibt es eine rigorose Trennung zwischen Zukunftsforschern, die aus dem zivilen und NGO-Sektor kommen, und Zukunftsanalysten, deren Auftraggeber Industrie und Militär darstellen. Diese Gruppen verachten jeweils die andere als Kriegstreiber bzw. realitätsfremde Hippies.

Das Institut selbst verliert dabei im Verlauf des Romans den Eindruck eines professionell geführten Instituts, dessen Ziel die Rehabilitierung der Patienten/Gäste ist und entwickelte sich für mich immer mehr in die Richtung, dass das Pflegepersonal und die Führung mitunter selbst eine Betreuung bräuchten.

Der Roman liest sich …seltsam. Man merkt ihm an, dass Warren Ellis in erster Linie ein Comicschreiber ist, insbesondere in dem Fokus auf die Dialoge. Wer tiefgreifende Beschreibungen von Architektur oder Umgebung erwartet, wird hier bitter enttäuscht werden. Da Ellis’ Spezialität die Dialoge sind, gelingt es ihm clevere Phrasen zu verwenden, aber da es an Charakterisierung der Figuren mangelt, bleibt es dabei – sie mögen clever sein, aber sind nicht tiefgreifend oder weise.

Wenn man mit diesen Abstrichen leben kann und auf die Schnelle einen Kurzroman lesen will, dann bietet sich Normal allerdings an, denn die Thematik ist trotz allem interessant.



Titel: Normal (ISBN: 978-0-374-53497-4)

Autor: Warren Ellis

Sprache: Englisch (Mittel bis komplex aufgrund der Thematik)

Länge: 160 Seiten (35k Wörter)

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